Zum Abschied wird noch einmal kräftig nachgetreten: Kurz vor Ende der temporären deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat sind die Vertreter Russlands und Chinas heftig mit dem deutschen UN-Botschafter Christoph Heusgen aneinandergeraten. Der hatte in einer Sitzung über Syrien kritisiert, Russland und China würden mit ihrer Blockade im UN-Sicherheitsrat dazu beitragen, wichtige humanitäre Hilfslieferungen nach Syrien zu erschweren.
Das Regime von Diktator Baschar al-Assad lässt Hilfslieferungen nur noch über einen einzigen Grenzübergang zu und kann im UN-Sicherheitsrat stets auf Rückendeckung durch Moskau und Peking zählen. Heusgen bezeichnete es deshalb als „sehr zynisch“, wenn die beiden ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates nun beklagten, dass Hilfslieferungen nicht nach Syrien gelangen könnten.
Der UN-Sicherheitsrat habe die Menschen in Syrien „fallen gelassen“, beklagte Heusgen. Russland unterstütze nicht nur den syrischen Machthaber Assad im Bürgerkrieg, sondern trage auch selbst zum „Leiden und Tod“ der Menschen bei.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte diese Woche eine Bilanz von zwei Jahren deutscher Arbeit im Sicherheitsrat gezogen und kritisiert, dass sich die ständigen Mitglieder des Gremiums oft gegenseitig blockierten. „Viel zu oft war der Sicherheitsrat polarisiert“, sagte Maas. Einer der schwierigsten Momente sei es gewesen, als Russland und China den humanitären Zugang nach Syrien beinahe verhindert hätten.
Solche Schuldzuweisungen kamen bei beiden Ländern nicht gut an. Der russische UN-Vize-Botschafter Dmitri Poljanski antwortete Heusgen, wenn der Sicherheitsrat die syrische Bevölkerung fallen lasse, dann liege dies am „heuchlerischen Verhalten“ Deutschlands und des Westens.
Und direkt an Heusgen gerichtet, meinte er: „Sie werden uns nicht fehlen.“ Deutschland scheidet zum Jahresende nach zweijähriger temporärer Mitgliedschaft aus dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen aus. Berlin bemüht sich seit geraumer Zeit um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Dem erteilte nun Moskau eine klare Absage. Wegen des Verhaltens der deutschen Vertreter im Sicherheitsrat stellten sich viele UN-Mitgliedstaaten, die zuvor noch die permanente Mitgliedschaft Deutschlands befürwortet hätten, inzwischen die Frage, ob „so viel Zynismus“ in dem Gremium erlaubt werden solle, meinte Poljanski.
Noch deutlicher wies der chinesische Vertreter Yao Shaojun Berlin in die Schranken. „Das Auftreten Deutschlands im Sicherheitsrat hat nicht den Erwartungen der Welt und den Erwartungen des Rats entsprochen“, meinte der chinesische Diplomat. Daher werde der deutsche Weg zu einer ständigen Mitgliedschaft „schwierig“.
Der deutsche UN-Botschafter Heusgen ist bekannt dafür, nicht immer besonders feinfühlig aufzutreten, aber so eine deutliche Abfuhr auf offener Bühne hat er sich selten eingefangen. Hintergrund ist ein Streit, der fast so alt ist wie der syrische Bürgerkrieg, nämlich ob ein mörderisches, ständig gegen internationales Recht verstoßendes Regime wie das Assads Hilfslieferungen kontrollieren darf, die auch für die Teile der Bevölkerung gedacht sind, die Assad blutig bekämpft.
Assad und seine Unterstützer im UN-Sicherheitsrat haben stets darauf bestanden, dass die Hilfen über das Regime verteilt werden, was diesem einen Machthebel sichert und eine Vorzugsbehandlung der eigenen Leute ermöglicht. Der Westen suchte immer wieder nach Arrangements, um den am härtesten vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen direkt Hilfe zu leisten. Die Auseinandersetzung darüber, wie viele Grenzübergänge dafür genutzt werden können, ist nur die letzte Version dieses langen Streits.
Russland steht seit Langem treu zu Assad und hat sogar militärisch in den Bürgerkrieg eingegriffen, um ihn zu unterstützen. Die Position Moskaus im UN-Sicherheitsrat in Bezug auf Assad ist deshalb ganz klar. Für Peking ist die Sache etwas abstrakter. Das Land positioniert sich seit geraumer Zeit sehr viel aggressiver als ideologischer Widersacher des Westens und ergreift deshalb für autoritäre und antiwestliche Regime Partei.
Und wie viele Diktaturen verteidigt China staatliche Souveränität und das Konzept der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten hartnäckig gegen Versuche des Westens, demokratische und freiheitliche Werte zu verbreiten. Für Peking ist die Frage, wer die humanitäre Hilfe nach Syrien kontrolliert, deshalb auch eine des Prinzips. Letztlich geht es darum, Präzedenzfälle für eine Einmischung von außen zu verhindern.
Dass China im UN-Sicherheitsrat so lautstark auftritt, ist jedoch relativ neu. Seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping 2012 baut das Land seinen Einfluss in den UN systematisch aus. Chinas Beiträge zu dem Weltgremium liegen inzwischen – hinter denen der USA – an zweiter Stelle. Traditionell konzentrierte sich Pekings Engagement vor allem auf die Entwicklungsarbeit.
Peking taktiert mit Moskau
Aber seit einiger Zeit lässt China seine Muskeln auch im Herz der UN spielen: auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik. Deswegen rückt auch die Herzkammer der UN, der Sicherheitsrat, immer mehr in den chinesischen Fokus. Dort praktiziert Peking eine taktische Partnerschaft mit Moskau. Im Juli legten Russland und China etwa ein Veto gegen weitere Hilfslieferungen aus der Türkei nach Syrien ein. Der Resolutionsentwurf war von Deutschland und Belgien eingebracht worden.
Die Ironie: Trotz der Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land und der Weigerung, die Menschenrechtslage in Syrien zu verbessern, wurde China im Oktober von der UN-Vollversammlung für drei Jahre zum Mitglied des Menschenrechtsrates gewählt. Im Geflecht der 15 UN-Sonderorganisationen besetzt die Volksrepublik Führungspositionen in vier Organisationen – mehr als jedes andere Land.
Das zeigt, wie sehr der Einfluss undemokratischer Regime in internationalen Organisationen gewachsen ist. Ein Faktor, der durch den Ausfall der USA als westlicher Führungsnation in den Trump-Jahren noch verstärkt wurde. Unabhängig vom konkreten Streitobjekt und den langfristigen Trends in internationalen Organisationen scheinen Moskau und Peking aber auch die Absicht gehabt zu haben, Berlin zum Abschied noch einmal gehörig zurechtzustutzen.
Zwar glaubt kaum jemand, dass Deutschlands Bewerbung um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat realistische Chancen auf Erfolg hat. Offenbar wollten sich Russland und China aber die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Berlin noch einmal zu demütigen. Und das hat möglicherweise mit der Wende in der deutschen Haltung gegenüber Moskau und Peking zu tun.
Seit dem Mordversuch an dem russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny mit Nervengift und dessen Behandlung in Berlin ist die Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber dem Putin-Regime deutlich negativer geworden, und auch die Kritik der Bundesregierung wird schärfer.
Ähnliches gilt für das Verhältnis zu China. Berlin hat Peking früher nur mit Samthandschuhen angefasst wegen der wirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen im Riesenreich. Auch das ändert sich gerade.
Die Niederschlagung der Freiheitsbewegung in Hongkong, die auch gegen das Abkommen mit Großbritannien über die Rückgabe der ehemaligen Kronkolonie verstößt, hat die öffentliche Haltung gegenüber Peking verändert. Und auch die Gefahr, die durch Chinas aggressives Ausgreifen und seine Strategie technologischer Dominanz entsteht, ist in diesem Jahr in Deutschland schärfer ins Bewusstsein gerückt.
Gut möglich, dass Chinas aggressives Auftreten gegenüber Heusgen im UN-Sicherheitsrat abschreckend wirken soll und als Vorgeschmack darauf, was Berlin zu erwarten hätte, falls es in Zukunft kritischere Positionen gegenüber Peking einnimmt.
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